Verfahrensdokumentationen, GoBD und der digitale Posteingang

Heute wollen wir mit Steuerberater Christian Ramin über die Verfahrensdokumentation zum Posteingang sprechen; im Besonderen zum digitalen Posteingang. Vor einer Woche hatten wir einen Kunden zu Besuch, der mit uns über die Vorteile des digitalen Posteingangs sprach. Zudem ging es darum, wie dieser Prozess im Unternehmen implementiert wurde und die Mitarbeiter sich langsam aber sicher, für diesen Prozess begeistern konnten.

Herr Ramin, es gibt verschiedene Wege, Post zu erhalten. Schauen wir uns rein den analogen Postweg an. Was muss sich ein Unternehmen hierzu dokumentieren?

Zum einen gibt es verschiedene Arten, durch die Post in das Unternehmen gelangen kann: Ich kann mir die Post regulär zustellen lassen oder mir ein Postfach zulegen. Bei Letzterem muss ich die Post allerdings auch jeden Tag aufs Neue selber abholen. Wenn sie ins Unternehmen kommt, landet sie in der Regel in einem Posteingangskorb. An dieser Stelle sollten sie auf Vollständigkeit geprüft werden, denn die Post kann durch Fremdeinwirkung beschädigt werden, zum Beispiel durch Nässe oder spitze Gegenstände. Ist dem so, sollte das schriftlich festgehalten werden. Als Nächstes wäre darauf zu achten, dass die Post vollständig ist – praktisch ist, wenn alle Seiten eines Briefes oder Dokumentes nummeriert sind, dann merkt man leichter, ob Seiten fehlen. Dieser Überprüfung wird ganz oft nicht nachgegangen, ich empfehle das allerdings sehr. Fällt einem das Fehlen einer Seite auf, kann der Absender des Briefes unverzüglich darüber informiert und die fehlenden Seiten können nachgefordert werden. Je nachdem, um was es sich in dem Brief handelt, sind fehlende Inhalte kritisch.

Mit diesen Schritten ist sichergestellt, dass die Post beim Eintritt ins Unternehmen auf Unversehrtheit und Vollständigkeit überprüft wurde – und hier sind wir auch schon bei der Verfahrensdokumentation, denn damit habe ich bereits eine Beschreibung des Vorgangs. Nach diesen Schritten wird meistens jedes Dokument mit einem Datumsstempel versehen. Teilweise gibt es dazu noch einen Paginierstempel. So kann auch sehr gut nachvollzogen werden, ob es zwischen Versand und Zustellung der Post zu Verzögerungen gekommen ist. Denn es gibt durch aus den Fall, dass eine Behörde oder ein Unternehmen nicht den größten Postzustelldienst nutzt, sondern einen kleineren privaten Anbieter, der wiederum die Post an einen weiteren Privatanbieter geben kann und so kann Post versanden oder ziemlich spät ankommen.

Gilt diese Art der Verfahrensdokumentation für alle Posteingangsformen oder speziell nur für die Post in Briefform? Es gibt auch den Posteingang per E-Mail oder Datentransfer.

Ja, hier kann man unterscheiden und sollte daher auch die Verfahrensdokumentation in die verschiedenen Bereiche aufdröseln: Zum Posteingang, zum Dokumentendurchlauf, zur Archivierung, zur Vernichtung und so weiter. Das Ganze geht dann in eine Verfahrensdokumentation, die Regelkonformität sicherstellen soll. Das ist dann sinnvoll und wichtig, wenn der Betriebsprüfer kommt und danach fragt, was mit den steuerlich relevanten Dokumenten passiert. Zum Beispiel, ob die Dokumente nach den Grundsätzen der Unveränderbarkeit der Daten behandelt werden; das muss ich dann belegen. Das kann ich allerdings nur dann wirklich belegen, wenn ich eine korrekte Verfahrensdokumentation habe. Das mal zum Grundsätzlichen. Aber es gibt unzählige Wege, wie Informationen in ein Unternehmen kommen, digital, analog, über Systeme, über Mitarbeiter usw… Ein Kollege von mir hat sich das genauer angesehen, und alleine 25 unterschiedliche digitale Eingangskanäle ausgemacht. Ein ganz simples Beispiel ist, wenn ein Mitarbeiter seine Reisekostenabrechnung abfotografiert und per WhatsApp ins Unternehmen sendet. Andauernd gehen Daten rein ins Unternehmen und wieder raus aus dem Unternehmen. Hier sollte auch drauf geachtet werden, dass dies möglichst effizient geschieht, gebündelt und normiert. Dann lassen sich Informationen besser und effizienter verarbeiten.

Was passiert, wenn die Verfahrensdokumentation zwar besteht, allerdings Teile ausgelassen oder vergessen wurden. Was droht dem Unternehmer dann bei einer Prüfung?

Erst einmal gar nichts. Das Fehlen einer Verfahrensdokumentation ist ein formaler Fehler – dieser führt oft nicht zu Sanktionen. Neben dem Fehlen dieser Verfahrensdokumentation kommt es allerdings oft zu weiteren formalen und/oder materiellen Fehlern; die kumulieren dann oft. Wenn das dann überhand nimmt, kann der Prüfer die komplette Buchführung verwerfen und zuschätzen. Je nach Schwere und Häufigkeit der Fehler, kann der Prüfer bis zu 5 % zuschätzen – stellt man sich ein Unternehmen mit 1. Mio. Umsatz vor, kann das existenzgefährdend sein. Deswegen sollte man diesen Mangel, der dazu führen kann, dass die Buchführung verworfen wird, gar nicht erst zulassen.

Nicht nur die Sicherheit gegenüber dem Betriebsprüfer ist relevant, sondern auch die Effizienz, die damit einhergeht. Wenn ich weiß, wie die Informationsströme fließen, wo meine Daten sich befinden und wie sie verarbeitet werden, dann spare ich Zeit, Geld und Nerven. Das vermeidet auch Stress für die Mitarbeiter, denn wenn man genau den Weg kennt und den Prozess nachverfolgen kann, muss man nicht hektisch nach irgendwas suchen, man weiß, wo ich es sich befindet.

Und zum Thema Digitalisierung: Digitalisierung zum Selbstzweck ist nicht sinnvoll, aber wenn ich diese Systeme nutze, um Datenströme besser nachvollziehbar machen zu können und effizienter zu werden, dann ist es absolut zu begrüßen.

Nehmen wir an, im Unternehmen wurde beschlossen, den Posteingang von analog auf digital umzustellen. Was muss bei der Verfahrensdokumentation beachtet werden?

Ja, in diesem Fall spricht man von einer Verfahrensdokumentation zum ersetzenden Scannen. Das ist eigentlich ein Unwort, und kommt auch in dieser Form nirgendwo amtlich vor, es soll allerdings zum Ausdruck bringen, dass ein Dokument, welches in analoger Form ins Unternehmen kommt, durch das identische Dokument in digitaler Form ersetzt werden kann. Und ganz wichtig bei dieser Sache ist, dass die Informationen auf dem Dokument in unverfälschter Form ins Digitale übertragen wurden. Das muss ich technisch sicherstellen, aber auch so dokumentieren. Deswegen ist auch die Verfahrensdokumentation zum ersetzenden Scannen so unglaublich wichtig. An dieser Stelle darf nichts schiefgehen.

Kennen sich Unternehmen hier zureichend aus oder ist es ratsam, sich an externe Spezialisten zu wenden?

Ich finde es sehr ratsam, wenn sich Unternehmen an externe Spezialisten wenden. Insbesondere in größeren Unternehmen herrscht oftmals eine starke Betriebsblindheit. Mitarbeiter denken auch oft, dass das ERP-System im Unternehmen alles dokumentiert und sie deswegen nichts mehr machen müssen. Ein ERP-System zu nutzen ist aber nicht gleich Prozessmanagement. Zudem ist es immer sehr hilfreich, wenn man die Betriebsprüfer-Brille auf hat oder alles aus der Prozesssicht sehen kann. Wenn man sich vor der Visite des Betriebsprüfers einen unbeteiligten Dritten ins Unternehmen holt, der ganz unbefangen auf die Prozesse schaut, hat man ganz oft einen enormen Vorteil: Sehr gut auf den Betriebsprüfer vorbereitet zu sein. Ein unbeteiligter Dritter muss sich ja genauso schnell einen Überblick verschaffen können wie der Betriebsprüfer selbst. Und mit dieser externen Person wird auch sehr schnell ersichtlich, ob man sich schnell einen Prozessüberblick machen kann oder nicht. Wenn man es schafft, die Verfahrensdokumentation und Prozesse so aufzustellen und zu beschreiben, dass ein Prüfer sich einen guten und schnellen Überblick machen kann, hat man einen enormen Vorteil: Je schneller dieser Arbeiten kann und zu Ergebnissen kommt, desto früher ist die ganze Sache vom Tisch. Diesen Prozess in die Länge zu ziehen ist oft unangenehm und nicht notwendig. Der erste Schritt ist immer, die Ist-Situation aufzunehmen und dann zu schauen, was man verändern kann. Eine Steigerung der Effizienz erhalte ich meistens durch Digitalisierung. Es muss aber alles beschrieben werden und zwar möglichst übersichtlich, vom Großen immer detaillierter ins Kleinere.

Große ERP-Systeme können fast alles, aber sie sind nur so gut wie die Wirklichkeit die sie abbilden sollen. Wenn die Prozesse zu komplex und unübersichtlich sind, dann hilft auch das ERP-System nicht wirklich weiter. Die Mitarbeiter müssen ja auch wissen, was im System abläuft. Wir haben auch hier eine steigende Nutzung von künstlicher Intelligenz; die Systeme können auch ohne künstliche Intelligenz schon sehr viel, nur den Durchblick Behalten müssen schon die Menschen, die Mitarbeiter.

Sind die Regeln zur GoBD in Europa eigentlich Einheitlich?

Die Grundsätze sind ähnlich. Es gibt sie überall, weil es Grundsätze des Rechnungswesens sind. Die hat es schon immer gegeben, aus dem Handelsrecht heraus schon. Das sind Grundsätze, die klar und sehr strukturiert sind. Jeder sollte sich daran halten, weil es eine Möglichkeit darstellt, Rechenschaft darüber abzulegen, was im Unternehmen passiert und zugleich Dritten die Möglichkeit gibt, schnell einen Überblick zu bekommen. Das ist besonders wichtig, wenn man international agiert. Es gibt immer wieder Fälle, wo z. B. der Steuerberater oder Betriebsprüfer einer deutschen Firma, mit dem Rechnungswesen und Datenmüll einer ausländischen Tochtergesellschaft nicht zurechtkommt – und das sind Situationen die tunlichst vermieden werden sollten.

Für wen gilt die GoBD überhaupt?

Die GoBD gilt für jeden Unternehmer, selbst für jemanden, der nur eine Fotovoltaik Anlage auf dem Dach betreibt. Hier muss man allerdings unterscheiden; derjenige, der eine Fotovoltaik Anlage betreibt, braucht keine mehrseitige Verfahrensdokumentation, da reicht ein DIN-A4-Blatt, aber er muss sie haben.

Ist der Kleinunternehmer auch von der 5%-Regelung Betroffen, wenn er zu viele Fehler macht?

Nein, in der Regel nicht. Diese 5 % sind der Maximalfall. Das Fehlen einer Verfahrensdokumentation alleine löst erst mal gar keine Strafen aus, es ist nur ein Minuspunkt in der Gesamtbewertung. Wenn ich Verfahrensdokumentation fehlt, fehlt allerdings meistens noch was anderes, das ist hier das Problem. Je nach Schweregrad der Verletzung, ob materiell oder Formel, kann es zu Zuschätzungen kommen. Bevor es zu einer Strafe kommt, muss aber erst mal die gesamte Buchführung verworfen werden. Darauf bin ich spezialisiert: Wenn mal das Kind in den Brunnen gefallen ist und der Betriebsprüfer dieses und jenes moniert und man zudem keine VD hat, dann schätzt der Betriebsprüfer zu. Und wenn er 3 % zuschätzt, dann greife ich das auf und sage, dass anhand von Rechtsprechungen nur 2 % angemessen sind. Bei größeren Beträgen kann das schon mal beachtlich sein. Das Ganze nennt man GoBD-Abwehrberatung.

Es gibt ein technisches Verhältnis zwischen dem Unternehmen und der Finanzverwaltung: Die jahrelange Einhaltung von Fristen und eine saubere Buchführung führen dazu, dass man bessere Karten beim Amt hat, als wenn man schludert. Was kannst du dazu sagen?

Das ist ein tolles Stichwort, hier sind wir im Bereich der Text-Compliance. Als Unternehmer sollte man weiter denken und „compliant sein" – nicht nur im Bereich des Umweltschutzes oder der Mitarbeiterführung, sondern auch bei den Steuern. Indem ich das dokumentiere, signalisiere ich dem Finanzamt: Ich bemühe mich anhand einer Verfahrensdokumentation, gesetzlich geforderte Pflichten zu erfüllen. (Das kann noch viel weiter gehen, aber das ist ein anderes Thema.) Dann geht es schneller und erspart zudem wieder Geld und Nerven. Warum sollte ich das dann also nicht machen? Sich in eine Auseinandersetzung mit dem Finanzamt zu begeben ist auch oft nicht sonderlich erfreulich. Manchmal fällt das Kind doch einfach in den Brunnen, weil ein Mitarbeiter sogenannte „dolose Handlungen" (anm. arglistig / trügerisch) unternommen hat, zum Beispiel für sich Geld unterschlagen und auf die Seite geführt. Dem Finanzamt ist es erst mal egal, dieses sagt dann, dass es eine schlichte Steuerziehung ist. Wenn ich dann aber ein Text-Compliance-System eingerichtet habe, dann habe ich in einem Steuerstreitfall bessere Karten und kann ganz anders auftreten. Meine Empfehlungen für Mittelständler sind daher eine Verfahrensdokumentation und ein Text-Compliance-System.

Einen externen Berater hinzuziehen ist demnach auf lange Sicht für den Unternehmer entspannter, sehe ich das richtig?

Unbedingt – auf lange Sicht. Im Moment selbst sieht es so aus, als koste es mehr. Auf lange Sicht ist es allerdings so, dass wenn der Steuerprüfer aus irgendwelchen Gründen, z. B. formalen Fehlern oder Ähnlichem zusetzt, es richtig teuer werden kann. Wenn man also einen guten Steuerberater hat, der auf Text-Compliance und eine saubere Verfahrensdokumentation achtet, ist man auf der sicheren Seite und fährt im Eskalationsfall günstiger.

Text-Compliance in Kürze: Es handelt sich hierbei um ein internes Kontrollsystem, in dem ich mir dediziert Gedanken über das gesamte Unternehmen mache und schaue, ob das ganze Unternehmen compliant ist: Ob das Unternehmen dem Regelwerk entspricht und das von allen gelebt wird. Oft setzen sich Unternehmen das Ziel, im Bereich Mitarbeiterführung Compliant zu sein, aber wenn ich diesen Schritt schon gehe, warum denn nicht auch gleich im Steuerrecht? Das ist ein Thema, das wir beim nächsten Mal sehr gerne besprechen können.

Fortsetzung folgt.

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